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Was ist Optogenetik ?

Unter dem Begriff "Optogenetik" werden Methoden und Anwendungen zusammengefasst, bei denen sich genetisch modifizierte Proteine oder andere Moleküle in lebenden Zellen, Gewebe und Tieren mit Licht steuern lassen. Auf diese Weise  kann molekulare oder zelluläre Aktivität - sogar ganzer  (neuronaler) Netzwerke - mit hoher zeitlicher Auflösung kontrolliert werden. Natürliche optogenetische Werkzeuge sind Proteine, die in lichtempfindlichen Organismen (oft Mikroben) zu finden sind. Ihr genetischer Code wird mit Hilfe der Gentechnik in Zellen höherer Tiere übertragen - darunter oft typische Modellorganismen wie Nematoden, Fliegen, Fische und Mäuse. Diese Werkzeuge, etwa das berühmte Channelrhodopsin, ermöglichen eine gezielte Manipulation des Ionenstroms und der Membranspannung. Werden die Proteine mit Licht bestrahlt, so öffnet sich eine ionenselektive Pore, ein Ionenkanal. Diese Öffnung führt durch den einsetzenden Ionenstrom zu einer Veränderung der Membranspannung innerhalb weniger Millisekunden und so - im Falle von Neuronen und (Herz-)Muskelzellen - zu einer Aktivierung der Zelle. Diese Aktivierung kann gezielt Neurone anschalten, aber auch ein Muskelzucken, das eine Fortbewegung der Tiere in Gang setzt oder einen Herzschlag auslösen.  Ein optogenetischer "Gegenspieler" des Channelrhodopsin ist Halorhodopsin, das Chloridionen in die Zellen pumpt; auf diese Weise wird die Aktivität der Zelle gehemmt. Mit anderen optogenetischen Werkzeugen kann man sekundäre Botenstoffe in den Zellen erzeugen, die zelluläre Signale auslösen oder in die Biochemie der Zelle eingreifen. In jüngster Zeit wurden weitere optogenetische Werkzeuge entwickelt, die es den Forschern ermöglichen, wichtige Prozesse wie Genexpression, Protein-Interaktion oder -Abbau sowie den Zelltod zu kontrollieren. Neben natürlichen oder künstlich erzeugten lichtempfindlichen Proteinen können optogenetische Werkzeuge auch dadurch hergestellt werden, dass man Proteine durch kleine chemische Verbindungen lichtaktivierbar macht, die oft physisch mit dem Protein verknüpft sind. Schließlich umfasst die Optogenetik auch genetisch modifizierte optische Sensoren für Ca2+, die Membranspannung, den pH-Wert, kleine Moleküle oder sekundäre Botenstoffe.

 

 

Historische Perspektive

 

 

Erste "optogenetische" Experimente wurden im Labor von Gero Miesenböck (Universität Oxford) durchgeführt. Indem er die photosensorische Proteinkaskade aus dem Auge der Fruchtfliege Drosophila melanogaster auf die Nervenzellen von Säugetieren übertrug, konnte Miesenböck Nervenzellen mit Licht anregen (Zemelman et al. 2002). Die Methodik war zwar zunächst noch zu kompliziert und zu langsam, um Nervenzellen effizient ansteuern zu können, erweckte aber weltweit großes Interesse, ähnliche Ansätze zu versuchen. Etwa zur selben Zeit wurde ein "photopharmakologischer" Ansatz von Isacoff, Trauner und Kramer entwickelt. Zunächst nutzten sie ungebundene Inhibitoren von Ionenkanälen, die sich mit Licht von einer inaktiven in eine aktive Konformation umwandeln ließen und umgekehrt, um neuronale Aktivität auszulösen oder zu unterbinden. Später wurden diese chemischen Lichtschalter an modifizierte Kanäle gebunden, um sie mit genetischen Methoden direkt ansteuern zu können (Banghart et al 2004; Szobota et al., 2007). Die erfolgreichsten und am weitesten verbreiteten optogenetischen Werkzeuge, die mikrobiellen Rhodopsine, haben ihren Ursprung in Deutschland. In den Jahren 2002 und 2003 beschrieben Nagel, Hegemann und Bamberg die Funktion der Channelrhodopsine 1 und 2 (ChR1 und ChR2) als unmittelbar lichtgesteuerte Ionenkanäle (Nagel et al. 2002; Nagel et al. 2003). In ihrem Artikel aus dem Jahr 2002 erklärten sie erwartungsvoll: "Die Fähigkeit von ChR1, eine lichtgesteuerte Protonen-Leitfähigkeit in Oozyten zu vermitteln, gibt uns […] das Versprechen, ChR1 auch für die Messung und Manipulation von elektrischen oder proton-basierten Gradienten an Zellmembranen zu nutzen, alleine mit Hilfe von Licht." Ein Jahr später schreiben sie: "Darüber hinaus haben wir gezeigt, dass die Expression von ChR2 in Froscheizellen oder Säugetierzellen als wirkungsvolles Werkzeug zur Erhöhung der zytoplasmatischen Ca2+-Konzentration oder zur Depolarisation der Zellmembran genutzt werden kann, einfach durch den Einsatz von Licht." Diese beiden wissenschaftlichen Veröffentlichungen erweckten bei anderen Gruppen großes Interesse (Deisseroth, Gottschalk, Herlitze, Pan, Yawo). Zahlreiche Gruppen exprimierten die genannten Proteine in erregbaren Zellen, wie Muskeln, Neuronen und anderen Bestandteilen des Nervensystem, um die Zellen anschließend mit Licht zu aktivieren und auf diese Weise sogar koordiniertes Verhalten auszulösen (Boyden et al. 2005; Li et al. 2005; Nagel et al. 2005; Bi et al. 2006; Ishizuka et al. 2006). Für diesen grundlegenden neuen und offensichtlich sehr wirksamen Ansatz setzte sich der Begriff "Optogenetik" durch (Deisseroth et al. 2006). Im Jahr 2007 wurde Halorhodopsin (NpHR) als ergänzendes optogenetisches Werkzeug eingeführt, mit dem man Zellen hyperpolarisieren kann. Es wurde gezeigt, dass die kombinierte Verwendung mit ChR2 eine unabhängige Push-Pull-Kontrolle des Membranpotenzials, von Aktionspotenzialen und sogar des koordinierten Verhaltens von Tieren ermöglicht (Han und Boyden 2007; Zhang et al. 2007). Rhodopsin-basierte optogenetische Werkzeuge wurden in den Folgejahren breit eingesetzt. In letzter Zeit wurden zahlreiche weitere optogenetische Werkzeuge entwickelt, die nicht nur in den Neurowissenschaften, sondern in der gesamten Zellbiologie Verwendung finden.

 

 

Beispiele für optogenetische Werkzeuge und Anwendungen

 

Optogenetische Werkzeuge werden nicht nur - wie die Rhodopsine - zur Steuerung des Membranstroms und -potenzials eingesetzt oder in Form von modifizierten Ionenkanälen in Neuronen. In diesem sich rasant ausbreitenden Forschungsfeld  werden auch Werkzeuge entwickelt, die in intrazelluläre Prozesse und Mechanismen eingreifen können. Kontrolliert werden kann beispielsweise die Expression von Genen im Zelllkern sowie der Transport von Proteinen innerhalb der Zelle, aber auch eine Änderung von Form und Konformation der Proteine, so dass sie mit anderen Proteinen interagieren können. Sogar den Abbau von Proteinen bis hin zum Zelltod kann man auslösen. Ebenso werden Signalträger an der Oberfläche oder im Inneren von Zellen lichtempfindlich gemacht, etwa Bestandteile von Signalwegen mit sekundären Botenstoffen, G-Protein-gekoppelte Rezeptoren oder Rezeptor-Tyrosin-Kinasen. Schließlich können auch Form und Beweglichkeit der Zellen sowie der Membrantransport unter Verwendung optogenetischer Werkzeuge manipuliert werden.

 

Ein wichtiger Aspekt der optogenetischen Forschung besteht darin, ein mechanistisches und strukturelles Verständnis der lichtempfindlichen Proteine zu erhalten, so dass ihr Design weiter verfeinert werden kann - für noch bessere oder hochspezialisierte optogenetische Anwendungen.

 

 

Optogenetische Anwendungen in der Humantherapie?

Optogenetische Werkzeuge sind auch in Hinblick auf mögliche Therapieeinsätze bei Erkrankungen des Menschen vielversprechend. Möglich erscheint dies vor allem bei Anwendungen im Auge oder im Innenohr. Bei degenerativen Erkrankungen werden in der Netzhaut Photorezeptoren und im Innenohr geräuschempfindliche mechanorezeptive Zellen irreversibel geschädigt. Da jedoch die Nervenzellen, die die Information aus den Rezeptoren ans Gehirn weiterleiten, auch im Falle einer Degeneration der Rezeptoren noch vorhanden sind, können diese prinzipiell optogenetisch angesteuert werden. Auf diese Weise können Nervenzellen im Auge direkt auf (verstärktes) Umgebungslicht reagieren. Im Innenohr müssen die akustischen Signale zunächst mit einem Mikrofon aufgenommen, die Töne in Lichtsignale umgewandelt und dann die Nervenzellen mit einer speziellen Hardware (beispielsweise einer µLED-Matrix) angeregt werden. Andere Anwendungsmöglichkeiten betreffen das Herz: Derzeit werden optogenetische Schrittmacher oder eine optogenetische Defibrillation entwickelt. Darüber hinaus gibt es die Hoffnung, optogenetische Eingriffe zukünftig auch bei neurodegenerativen oder neuropsychiatrischen Erkrankungen, wie bei Parkinson, Epilepsie oder einer Depression vornehmen zu können. Bei diesen Krankheiten verlieren bestimmte Zelltypen oder Kerne im Gehirn ihre Funktion oder lösen eine unkontrollierte Aktivität aus. Eine zelltypspezifische Expression von optogenetischen Werkzeugen verspricht eine selektivere Kontrolle von Hirnregionen, als dies derzeit durch die elektrische Tiefen-Hirnstimulation (THS) oder epileptologische Chirurgie möglich ist. Es ist jedoch klar, dass solche biomedizinischen Anwendungen vor ihrer klinischen Umsetzung noch viel mehr Grundlagenforschung an geeigneten Tiermodellen benötigen, begleitet von einer öffentlichen Diskussion darüber, ob aus ethischen Gesichtspunkten überhaupt menschliche Nervenzellen gentechnisch verändert und lichtempfindlich gemacht werden dürfen.

 

 

Ethische Fragestellungen

Jede Änderung des menschlichen Genoms oder die Expression von Genen in bestimmten Zelltypen wirft Bedenken auf und führt zwangsläufig zu ethischen Grundsatzüberlegungen. Dies gilt auch für eine mögliche Verwendung von optogenetischen Werkzeugen in der Humantherapie, da sie die Einführung von genetischem Fremdmaterial in die Zellen des Patienten beinhaltet. Optogenetische Anwendungen im Gehirn erfordern eine besonders sorgfältige Prüfung, da hier die (theoretisch nicht völlig unberechtigte, aber aus praktischer Sicht eher abwegige) Sorge besteht, dass die Hirnaktivität und möglicherweise sogar das Verhalten gegen den freien Willen des Patienten beeinflusst werden könnten. Ethische Prinzipien in der Medizin müssen sich also neuen Fragen stellen, die der Einsatz der Optogenetik beim Menschen aufwirft. Neu entwickelte ethische Grundsätze müssen für jede mögliche optogenetische Anwendung beim Menschen verbindlich gelten. Wir möchten zu dieser Diskussion konstruktiv beitragen und die Öffentlichkeit über die Möglichkeiten, Nutzen und Risiken der Optogenetik beim Menschen informieren.